Freitag, 17. Januar 2014

Nach Oldenburg, zum Horst Janssen Museum

Horst Janssen
Meisterzeichnungen
Hamburger Kunsthalle
8.10.2004 – 16.01.2005
Eine zufällige Begegnung

Meine Begegnung mit Horst Janssen war eher ein Zufall.

Als ich nach Hamburg kam, wohnte ich zunächst in einer Zweck-WG in Wilhelmsburg, in die eine Woche nach mir auch die liebe Vicky einzog, was „the beginning of a beautiful friendship“ war. Sie gab mir den Hinweis (eigentlich schleppte sie mich dorthin mit), dass ich mir von der Kunsthalle ein paar Poster für meine leere Wände besorgen konnte (also auch musste).

Da habe ich das Poster gefunden, das mich in den letzten fünf Jahren durch meine bisherigen vier Unterkünfte begleitet hat:

Horst Janssen – Meisterzeichnungen – 8. Oktober 2004 bis 16. Januar 2005.

Ich hängte das Poster also auf und ging gleich ins Internet. So erfuhr ich schon damals, dass sich in Oldenburg ein Horst Janssen Museum befindet, aber der Besuch sollte auf sich warten lassen.


Irgendwann kam ich endlich dazu, das Janssen-Kabinett in der Hamburger Kunsthalle zu besuchen, das kurz nach Janssens Tod eröffnet worden war; und als ich als studentische Hilfskraft in der Bibliothek arbeitete, hatte ich ab und zu die Gelegenheit, die Bände mit seinen Werken im Magazin durchzublättern. Einmal kam mein lieber belesener Chef vorbei, den ich gerne "Herr B., den Weisen" nannte, und wir hatten eine sehr nette Unterhaltung über Janssen. Ein Ausflug nach Oldenburg war aber immer noch nicht angesagt ...


... bis ich letzten Monat nach einem langen Blickflirt ein Buch von Janssen gekauft habe, das mich dem Künstler näher brachte und mir einen neuen und den entscheidenden Anstoß zu diesem seit langem gewünschten Ausflug nach Oldenburg gab:

Horst Janssen, Summa summarum: Ein Lebenslesebuch.


Erst nach Oldenburg, dann zurück nach Hamburg

Janssen verbrachte seine Kindheit zwar in Oldenburg bei den Großeltern, war aber schicksalsbedingt ein gebürtiger Hamburger:

„Meine patriotische Mutter wünschte sich, in Berlin niederzukommen. Aber ich war außerordentlich unpünktlich, und sie verlor die Geduld. So wurde ich auf der Durchreise in Hamburg geboren."


Die Mutter, die Schneiderin war, habe sich dann mit ihrem unehelichen Sohn nach Oldenburg „ausquartiert“ und ihn „ein halbes Jahr in ihrer Werkstatt außerhalb des Elternhauses“ verborgen. Als ihr Vater erfuhr, dass er auf diese Weise Großvater geworden war, „wollte er sich aufhängen", was „zu jener Zeit in solchen Fällen keinesfalls ein absurder Gedanke“ war, wie Janssen schreibt; aber „[e]r gewann sein Enkelkind sehr lieb".


Seine Kindheit bei den Großeltern fasst Janssen so zusammen:

„Oldenburg war meine Kindheit. Mit einem Kürbisbeet, mit Rolf Strehle, mit der Ratte in dem Loch unterm Fußrost vor der Haustür. Mit Café Bohlmann am Sonntag, mit den Streichhölzern, die nach dem Platzregen im Rinnstein den Gullys entgegenschwammen, mit den belgischen Kaltblütern vom Kohlenhändler Tappken und mit den Soldatenträumen, die immer so plötzlich endeten, wenn es rief: Reinkommen! Essen! So war Oldenburg. Bis Opa starb und gleich darauf meine Mutter.“

1946, mit 15 Jahren kam er zu „Tantchen“ Anna nach Hamburg, „wo ich die Kunstschule besuchte, solange man es duldete. Danach habe ich gezeichnet, bis heute, und Fett angesetzt", schreibt Janssen.


Und am vergangenen Sonntag endlich bin ich mit Steffi nach Oldenburg gefahren, um die Werke dieses Hamburger Künstlers zu sehen – unsere Rückfahrt nach Hamburg war aber schon gebucht.



Der Ausflug und das Museum

Es war ein sonniger Tag, und wir hatten eine angenehme Fahrt nach Oldenburg. Das Horst Janssen Museum ist vom Hauptbahnhof in fünf Minuten zu Fuß zu erreichen.

Es war der letzte Tag einer Chagall-Ausstellung in dem Museum, deshalb waren wir nicht wirklich überrascht von der Menschenfülle im kleinen Eingangsbereich. Tja, die Leute waren eher für Chagall da und wir für Janssen, soweit kein Problem.

Die Enttäuschung kam erst später, weil nur eins von drei Stockwerken des Janssen-Museums für dessen Werke reserviert war und damit die Auswahl der Bilder schon eher begrenzt war. Ich weiß nicht, ob das immer der Fall ist, aber für uns war das schon Pech ...


Dafür konnten wir in diesem einzigen Stockwerk die relativ kleine Zahl der Werke in Ruhe betrachten und uns die Dokumentation "JANSSEN: EGO" von Peter Voss-Andreae fast komplett anzuschauen.



Horst Janssen – Nao-Fisch
Der Museum-Shop hatte eine große Auswahl von Janssen-Bücher, aber leider nur wenige Poster. Aber diesmal hatten wir Glück und fanden ein Poster, das uns beiden gefiel: Nao-Fisch

Wir haben es zur Erinnerung mitgenommen und noch am selben Abend feierlich an die Wand gehängt! Prost!

Obwohl ich teilweise enttäuscht vom Museum war, bin ich glücklich, dass ich diesen Ausflug endlich gemacht habe und einige sehr schöne Werke von Janssen im Original sehen durfte.


Die Gedankenkrümel wo die Worte mir fehlen

Es ist nicht leicht zu beschreiben, warum ich sein Werk bewundere …

Nur ein paar Gedankenkrümel hier:

Auf jeden Fall hat es etwas damit zu tun, dass er ein Zeichner ist, wie er auch selbst oft betont. Aber es ist auch diese gewisse (vermutlich beabsichtigte) Unvollständigkeit, Unvollkommenheit in vielen Zeichnungen, die den Eindruck vermittelt, dass er in seiner Suche nach was auch immer ständig hin- und hergerissen wäre ... Und dann die Details und die Präzision, die diese Werke andererseits auszeichnen ... Eine Begegnung mit der Traurigkeit ist darin, die sich oft mit recht gruselig erscheinenden Strichen zeigt, aber nicht selten auch eine feine Dosis von Humor enthält ... Das Menschliche, das sich authentisch und ehrlich offenbart …         




Horst Janssen
Janssen über seine Kunst

Es fange mit dem "Kucken" an, das "der Grund des Zeichnens" ist, das oft "gemeinhin duch Pauschalinformation" verblindet werde, und das sozusagen eher "ein klares und von keinem Gedanken getrübtes und abgelenktes Kucken" sein solle.

Letztendlich sei "das Wunderbare nicht unser intellektuelles Geschurre hinter geschlossenen Augen. Das Wunderbare sind eben diese Augen selbst – geöffnet, versteht sich und mit dem Krimkrams dahinter."

Die offene Augen fütterten das Gedächtnis und sein schlechtes Gedächtnis sei die Hauptquelle seines Vergnügens: "Es erinnert die geringsten Details einer Situation, die ich nie erlebt habe."

Dieses Gedächtnis weist auf eine lebhafte Phantasie hin, in der eine große Ansammlung von Augenscheinen und Vorstellungen animiert wird: Die Phantasie sei ihm "ein großer Versammlungsraum, eine große Halle, in die ungezählte, einander fremde Personen hineinströmen. Und wie's so ist, es bilden sich in der Halle Gruppen, Grüppchen und Paare, deren einzelne Personen miteinander im ständigen Austausch begriffen sind. [...] So gesehen, wäre Phantasie die Assoziation aller ursprünglich nicht miteinander im ständigen verbundenen Erlebnisse. Und die Träume und Phantastereien des Zeichners sind die Verbindung aller gehabten Augenscheine, die zu ungewöhnlichen Vorstellungen zusammentreten." Zusammengefasst: "Der Zeichner sammelt Vergangenheit und hebt sie damit auf."


Beim Zeichnen geht es ihm dann eher darum, diesen Wirrwarr auf dem Papier zum Stillstand zu bringen, wenigstens für einen Moment. Die räumliche Begrenzung "der vier Ränder des Blattes" ist sowohl eine Herausforderung, weil nach Janssen der Mensch auf Expansion aus sei, aber auch eine Insprisationsquelle: "Man könnte sagen: das Maß sei die Muse."

Und was ist am Ende eine Zeichnung?
"Eine Zeichnung [ist] nur ein Papier, auf dem alle Leidenschaft zur Ruhe kommt und alle Vorstellungen lebendig werden."

Wie man dahin kommt, ist eine andere Frage ...

Vor allem sitze man nicht allein vor dem Objekt, sondern "die ganze Gesellschaft längst verstorbener Zeichner sitzt dir im Nacken".

Die Arbeiten und Erfahrungen der Vorgänger im Nacken und dennoch unzählige Möglichkeiten vor dem Zeichner ...


"Wenn ich zu allen meinen Möglichkeiten wüßte, was das Richtige für mich ist, und wenn für das Richtige nur ein kleiner Teil meiner Möglichkeiten nötig wäre, um einen überzeugenden Eindruck zu machen," schreibt Janssen, "dann würde ich vielleicht gerne auf den größeren Rest meiner Möglichkeiten verzichten."



Ich glaube, dieses Vielleicht ist das Schlüsselwort: Auch wenn es im Grunde "das Richtige" nicht gibt, muss man entscheiden, ob man dennoch – gewiss immer wieder leidend – nach und in seinen Möglichkeiten weiter danach sucht, um zu finden, was zu finden ist … 



Janssen hat gesucht …


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1 Kommentar:

info@janssen-bibliothek.de hat gesagt…

Intersse am Schriftsteller Horst Janssen? Die Janssen Bibliothek im Goßlerhaus in Hamburg-Blankenese ist jeden 2. und 4. Mittwoch von 15.00 - 19.00 Uhr geöffnet. Außerdem gibt es Lesungen und Vorträge. Infos: www.janssen-bibliothek.com