Samstag, 25. Januar 2014

Der Pferdestall am Allende-Platz

Allende-Platz
mit "Pferdestall" im Hintergrund
(Foto: bk, 29.09.2008,
mein fünfter Tag in Hamburg)
In meinem Geburtsjahr, 1983, wurde der Bornplatz im Grindel in Allende-Platz umbenannt, zum zehnten Todestag von Salvador Allende.

25 Jahre danach bin ich für mein Masterstudium in Politikwissenschaften hierher gekommen, und seitdem bin ich fast jeden Tag hier.

Zugegeben, es hat mir sehr gut gefallen, dass mein neues Institut sich an einem nach Allende benannten Platz befindet. Ich hatte schließlich mit dem Politik-Studium angefangen, weil ich dazu beitragen wollte, eine bessere Welt zu schaffen. - Allerdings bin ich jetzt tatenlos am Schreibtisch gelandet ...

Die Verblüffung kam erst später, als ich den Kosenamen des Institut-Gebäudes hörte: Pferdestall.

Was ich zuerst als Witz verstand, erwies sich als eine geschichtliche Tatsache. Es war vielleicht nicht ein Stall im dörflichen Sinne, aber doch ein Gebäude, das im frühen 20. Jahrhundert 200 bis 400 Pferde und etwa 100 Kutscher beherbergte.


AP1 – "Pferdestall"
(Foto: bk, 29.09.2008,
mein fünfter Tag in Hamburg)
1908 wurde dieses Haus nämlich für das Luxusfuhrgeschäft von J.A. Schlüter errichtet, das damals das größte in Europa gewesen sein soll. Das Geschäft lief allerdings nicht so gut, und das Unternehmen ging schon in den Zwanzigern pleite. Der Senat kaufte das Haus und übergab es 1929 der erst zehn Jahre alten Universität. Dies war ein Schicksalsmoment für die junge Institution.

Schon Mitte der Zwanziger hatte man diskutiert, die junge Universität aus dem Stadtzentrum nach Groß Borstel zu verlagern, und nach dem Börsencrash vom Schwarzen Donnerstag 1929 wurde sogar darüber nachgedacht, sie zu schließen. Mit dem Erwerb des Pferdestalls im Grindel, dem damaligen jüdischen Viertel, fanden die Geisteswissenschaften ein neues Haus, und die Universität blieb doch im Herzen der Stadt.

Im Pferdestall wehte bald ein frischer Wind: Von hier aus leitete der Philosoph Ernst Cassirer die Hamburger Universität, er war einer der ersten jüdischen Rektoren Deutschlands. Und hier lehrte auch die erste Germanistin mit Professorentitel in Deutschland, Agathe Lasch; sie war die erste Dozentin an der Universität Hamburg überhaupt.

Heute gehört das Haus dem Fachbereich Sozialwissenschaften, in dem ich inzwischen promoviere – und wenn man die Nachkriegs-Architektur der Universität Hamburg kennt, weiß man auch was für einen ästhetischen Mehrwert das hat!

Das Beste am Studium im Pferdestall war allerdings mein Jahrgang, in dem ich viele gute Freunde fand, die eine Menge dazu beigetragen haben, dass ich mich in Hamburg so wohl fühlte. Schade, dass heute fast alle nicht mehr da sind. – C'est la vie!

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Eine deutsche Besonderheit:
Letzte Woche habe ich unter einem Allende-Platz-Schild etwas gesehen, das mich überrascht, aber auch zum Lachen gebracht hat: Da steht "Dr. Salvador Allende".

Ich habe das überprüft: Es stimmt, dass Allende als promovierter Arzt auch einen Doktortitel hatte. Aber mir scheint doch, dass dieser Titel eine seiner geringeren Leistungen war. Dass er trotzdem auf diesem Schild erwähnt wird, liegt bestimmt an der akademischen Atmosphäre des Ortes, aber ich glaube, es ist auch eine deutsche Besonderheit, dass der Doktortitel so hervorgehoben wird ... Tja, schaden tut es ja auch nicht!

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Und noch eine Beschwerde:
In die Sozialwissenschaften-Bibliothek durfte man bis vor ein paar Wochen seine Sachen (Jacke, Tasche, Kaffee, usw.) mitnehmen. Das war eine schöne Ausnahme unter den Bibliotheken an der Uni, die man mit kollektiver Sorgfalt genossen hat. Fast nie gab es ein Problem, kein Dreck oder was auch immer. Die Verwaltung hat sich aber nach der Renovierung offenbar genötigt gesehen, diese Praxis zu beenden; wovon, ist unklar. Klar jedoch ist: Meine Doktorarbeit ist in Gefahr – Koffeinmangel!

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