Montag, 21. April 2014

Wörterbuch: -büttel

-büttel: als Grundwort in Ortsnamen; es weist auf einer Gründung aus sächsischer Zeit: gi-bulti (altsächisch) heißt Siedlung und Wohnstätte.
* Die Vorsilbe bezieht sich meistens auf dem Namen des Dorfgründers: Elimar - Eimsbüttel, Poppilo - Poppenbüttel, Hunmar - Hummelsbüttel.


Büdel: Beutel
Buddel: Flasche
Bütt: alte Frau, alter Mann (wörtl.: breiter, niedriger Holzkübel)

Mittwoch, 19. März 2014

ABATON: Eine Institution in Hamburg




Wenn man in Hamburg Interesse an Kino hat, und zwar bloß ein Tick jenseits der Blockbusters, dann kennt man das Abaton-Kino schon. Und wenn man - wie ich - fast jeden Tag im Pferdestall am Allende-Platz ist, ist diese Bekanntschaft einfach unvermeidbar ...



Die Garage (1920)
Das Gebäude, in dem sich heute das Kino befindet, wurde 1912 eben als eine Weiterbau des Pferdestalls für die Automobiles aufgebaut, und gehörte ebenfalls dem Luxusfuhrgeschäft von J.A. Schlüter.

Dass das Abaton-Kino unmittelbar am Pferdestall liegt, ist aber nicht der einzige Grund, warum es auch von mir das meistbesuchte Kino Hamburgs ist: Es kommt eher daher, dass das Abaton immer wieder was Gutes zum Anbieten hat; und gewiss spielt es auch eine wichtige Rolle, dass im Abaton die ausländische Filme Original mit Untertiteln laufen, was ja in Deutschland keine Selbstverständlichkeit ist. 


Allende Platz (1970)
Diese Qualitäten entsprechen auch den Ausgangsideen seiner Gründer, Regisseur Werner Grassmann und Anwalt Winfried Fedder, die das Abaton 1970 als ein Programm-Kino eröffnet haben.* 

Der erste Film, der im Abaton-Kino gezeigt wurde, war "Monterey Pop"; mit einem einheitlichen Kartenpreis von 3 DM. Mit seiner Eröffnung nicht nur Hamburg, auch Deutschland eine wichtige Kulturinstitution gewonnen, das mit seiner Lage und seinen Preisen immer gut erreichbar blieb. - Ein Besuch ins Abaton ist im Vergleich günstiger als vielen anderen Kinos. Auch ein Tipp für die Kinoliebhaber: Mittwoch ist Kinotag im Abaton!

Der Name steht aber lustigerweise im Widerspruch mit der Mission: "Abaton" (von griechischen άβατος - unzugänglich) ist nämlich 'ein für die Öffentlichkeit unzugänglicher Ort', obwohl das Kino seine Türen seit mehr als 40 Jahren gerne für die Gäste öffnet, sogar extra geschmückt mit Werner Nöfers Wandmalereien aus 1970. - Der Legende nach ist der Name eher aus einer praktischen Grund ausgesucht, dass das Kino damit in alphabetischen Listen immer einen Platz an erster Stelle finden kann.


Der Konkurrenz im Grindel war mal früher schon größer!

 

Thalia Lichtspiele (1939/40)
Grindelallee 116
Die andere Traditionkinos dieses Viertels sind aber inzwischen leider verschwunden. Die ehemalige Thalia Lichspiele war sogar das älteste Kino Hamburgs, ein Vorstadtkino aus dem Jahre 1912. Sie hat Ende 1994 seine letzte Vorführung gemacht. Nachdem das Haus 1997 abgerissen wurde, zog im Juli 1998 u.a. ein Budnikowsky ins neugebauten Immobilie.


Grindel-Kino (1963)
Grindelberg 7a
Das Grindel-Kino, das 1959 gegründet war, konnte schon länger aushalten. Es hatte auch lange die größte Leinwand Hamburgs und Platz für mehr als 700 Gäste, und war technisch sehr modern ausgestattet. Durch eine Dauer-Krise Anfang 2000ern kam aber auch seine Gesichte zu Ende. Seine letzte Vorführung war Ende März 2008, nur sechs Monate vor meiner Ankunft nach Hamburg. Die Nachfolge ist wie gewohnt: ein Abriss und die Aufbau einer neuen Immobile, traditionell nach Hamburger Art. - Lieber Herr Alfred Lichtwark (1852-1914) hatte nicht umsonst Hamburg „Freie und Abrissstadt“ genannt.

Heute befindet sich nur noch ein Cinemaxx-Koloss am Dammtor außer des Abaton-Kinos in dieser Gegend, und als eine Hamburgische Institution ist das Abaton das einzige Kino hier mit einer Geschichte und mit einem charmanten Charakter.

Es geht übrigens nicht immer um die ernsthafte Kunst im Abaton, sondern auch um ein gutes Lachen: Wir besuchen heute, zum Beispiel, Wes Andersens Grand Budapest Hotel, und ich freue mich schon sehr darauf! :-)

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* In vielen Reiseführer und anderen Bücher wurde behauptet, dass das Abaton auch das erste Programm-Kino Deutschlands sein soll. Allerdings ist diese Information schon umstritten. Die Angabe in der Seite des Abatons helfen wenig, weil man da im ersten Satz den bescheideneren Ausdruck "eines der ersten" liebt, obwohl der nächste sagt, dass das 'Programmkino' hier erfunden worden sei. In Konkurrenz steht das Bremer Kino, Cinema im Ostertor.

Sonntag, 16. März 2014

Der Currywurst-Bach - Carl Philipp Emmanuel

Carl Philipp Emanuel Bach
(1714 - 1788)
Man hört gerade viel über einem gewissen "Hamburger Bach" – Wer soll das sein?

Johann Sebastian Bach ist es nicht, an den man sofort denken würde. Nein, sein zweiter Sohn Carl Philipp Emanuel ist diesmal derjenige, der im Rampenlicht steht. Man feiert 2014 sein 300. Geburtstag. Dabei geraten Hamburg und Berlin sich wieder einmal in die Haare, ob er nun wirklich Hamburger ist oder doch Berliner – man führt also einen neuen Currywurst-Krieg, diesmal auf der Ebene der Hochkultur.

Ein Sohn der Stadt ist er weder hier noch dort – der Herr ist in Weimar geboren. Und macht es sowieso überhaupt so viel aus, wo man geboren ist? Im Fall von C.P.E. Bach wohl kaum. Seinen Geburtsort Weimar verließ er mit gerade einmal drei Jahren, nach sechs Jahren in Köthen zieht er schon mit seinem Vater weiter nach Leipzig. Erst 1741 kam er nach Berlin, mit einer Feststellung als Konzertcembalist in der Hofkapelle. Für dieses Instrument hatte er eine besondere Vorliebe, er schrieb ungefähr 200 Werke dafür   – ein Fünftel aller seiner Kompositionen. 

Das Cembalo stand auch im Mittelpunkt eines schönen Konzertes, das mich in dieser Woche der Kunst dieses Bach näher gebracht hat. Nebenbei entdeckte ich einen netten Saal in einer der schönsten Ecken Hamburgs: den Lichtwarksaal der Carl-Toepfer-Stiftung im Komponisten-Viertel in der Neustadt, benannt nach Alfred Lichtwark. Dort spielten Menno von Delft (Cembalo) und Simone Eckert (Viola da Gamba) ein paar ausgesuchte Werke.

Hamburger oder Berliner?

Mit Bezug auf seinem langen Aufenhalt in Berlin behauptet man, dass er der "Berliner Bach" sei. Doch was spricht für den "Hamburger Bach"?

Die Hamburger hätten sich eigentlich diese ganze Diskussion sparen können: Hätten sie 1720 die Bewerbung Johann Sebastian Bachs als Organist für St. Jacobi angenommen, wäre der Sohn mitgekommen und vielleicht nie "Berliner" geworden. "Man lehnte ihn [Johann Sebastian Bach] ab", schreibt der Autor Kurt Grobecker, "weil der kindereiche Musiker den geforderten Einstand für die Armen-Kasse [...] nicht bezahlen konnte."

Hätten sich die Hamburger Pfeffersäcke damals wirklich Gedanken um die Armen gemacht, würde ich diese Entscheidung ja begrüßen. Ich fürchte allerdings, dass sie eine andere Rechnung hatten. Mit dem zukünftigen Erfolg des damals noch sechsjährigen Sohnes konnte aber niemand rechnen. Tja ... Der arme Carl Philipp Emanuel musste also nur deswegen einen Umweg über Berlin machen, bevor er endlich nach Hamburg gelangte.

Sein Pate, der berühmte Barock-Komponist Georg Philipp Telemann siedelte schon 1721 nach Hamburg um. Am Anfang hatte er es nicht leicht, aber als er die Stadt wieder verlassen wollte, haben die Hamburger sich bemüht, ihn da zu behalten, was ihnen gelang. In den 1730ern wurde er immer beliebter und spielte eine zentrale Rolle in der Hamburger Musikszene.

Ein Jahr nach Telemanns Tod 1767 kam sein Patensohn Carl Philipp Emanuel als sein Nachfolger nach Hamburg und wurde Städtischer Musikdirektor. So ging also die Geschichte weiter ...

Dass Carl Philipp diese Stelle annahm, und dass er dann bis zum Ende seines Lebens in Hamburg blieb, sind zwei klare Argumente dafür, ihn den "Hamburger Bach" zu nennen – das finde ich schon mal überzeugend. Und während er sich vom Berliner Hofleben allmählich distanziert hatte, gehörten die Hamburger Bürgermeister Hans Jacob Faber und Jacob Schuback zu seinem Freundeskreis.

Ok, er war in Hamburg vielleicht nicht so populär wie sein Pate Telemann, aber die Hamburger haben ihn doch ins Herz geschlossen, sogar für ewig mit seinem Begräbnis im Gruftgewölbe der St.-Michaelis-Kirche. - Dass sie auf dem Grab des beliebten Herrn Telemann das Rathaus gebaut haben, ist allerdings eine andere Geschichte, dazu kommen wir vielleicht auch noch irgendwann.

Fazit?

Hier:

Glückwunsch zum 300. Geburtstag, Hamburger Bach!

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Am 25. März gibt es ein anderes Barock-Konzert in Lichtwarksaal, falls jemand vorbeischauen mag: "Amouröses zum Geburtstag" (Mit Werken von Carl Philipp Emanuel und Johann Sebastian Bach, Georg Philipp Telemann und Gabriel Voigtländer)

Samstag, 25. Januar 2014

Der Pferdestall am Allende-Platz

Allende-Platz
mit "Pferdestall" im Hintergrund
(Foto: bk, 29.09.2008,
mein fünfter Tag in Hamburg)
In meinem Geburtsjahr, 1983, wurde der Bornplatz im Grindel in Allende-Platz umbenannt, zum zehnten Todestag von Salvador Allende.

25 Jahre danach bin ich für mein Masterstudium in Politikwissenschaften hierher gekommen, und seitdem bin ich fast jeden Tag hier.

Zugegeben, es hat mir sehr gut gefallen, dass mein neues Institut sich an einem nach Allende benannten Platz befindet. Ich hatte schließlich mit dem Politik-Studium angefangen, weil ich dazu beitragen wollte, eine bessere Welt zu schaffen. - Allerdings bin ich jetzt tatenlos am Schreibtisch gelandet ...

Die Verblüffung kam erst später, als ich den Kosenamen des Institut-Gebäudes hörte: Pferdestall.

Was ich zuerst als Witz verstand, erwies sich als eine geschichtliche Tatsache. Es war vielleicht nicht ein Stall im dörflichen Sinne, aber doch ein Gebäude, das im frühen 20. Jahrhundert 200 bis 400 Pferde und etwa 100 Kutscher beherbergte.


AP1 – "Pferdestall"
(Foto: bk, 29.09.2008,
mein fünfter Tag in Hamburg)
1908 wurde dieses Haus nämlich für das Luxusfuhrgeschäft von J.A. Schlüter errichtet, das damals das größte in Europa gewesen sein soll. Das Geschäft lief allerdings nicht so gut, und das Unternehmen ging schon in den Zwanzigern pleite. Der Senat kaufte das Haus und übergab es 1929 der erst zehn Jahre alten Universität. Dies war ein Schicksalsmoment für die junge Institution.

Schon Mitte der Zwanziger hatte man diskutiert, die junge Universität aus dem Stadtzentrum nach Groß Borstel zu verlagern, und nach dem Börsencrash vom Schwarzen Donnerstag 1929 wurde sogar darüber nachgedacht, sie zu schließen. Mit dem Erwerb des Pferdestalls im Grindel, dem damaligen jüdischen Viertel, fanden die Geisteswissenschaften ein neues Haus, und die Universität blieb doch im Herzen der Stadt.

Im Pferdestall wehte bald ein frischer Wind: Von hier aus leitete der Philosoph Ernst Cassirer die Hamburger Universität, er war einer der ersten jüdischen Rektoren Deutschlands. Und hier lehrte auch die erste Germanistin mit Professorentitel in Deutschland, Agathe Lasch; sie war die erste Dozentin an der Universität Hamburg überhaupt.

Heute gehört das Haus dem Fachbereich Sozialwissenschaften, in dem ich inzwischen promoviere – und wenn man die Nachkriegs-Architektur der Universität Hamburg kennt, weiß man auch was für einen ästhetischen Mehrwert das hat!

Das Beste am Studium im Pferdestall war allerdings mein Jahrgang, in dem ich viele gute Freunde fand, die eine Menge dazu beigetragen haben, dass ich mich in Hamburg so wohl fühlte. Schade, dass heute fast alle nicht mehr da sind. – C'est la vie!

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Eine deutsche Besonderheit:
Letzte Woche habe ich unter einem Allende-Platz-Schild etwas gesehen, das mich überrascht, aber auch zum Lachen gebracht hat: Da steht "Dr. Salvador Allende".

Ich habe das überprüft: Es stimmt, dass Allende als promovierter Arzt auch einen Doktortitel hatte. Aber mir scheint doch, dass dieser Titel eine seiner geringeren Leistungen war. Dass er trotzdem auf diesem Schild erwähnt wird, liegt bestimmt an der akademischen Atmosphäre des Ortes, aber ich glaube, es ist auch eine deutsche Besonderheit, dass der Doktortitel so hervorgehoben wird ... Tja, schaden tut es ja auch nicht!

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Und noch eine Beschwerde:
In die Sozialwissenschaften-Bibliothek durfte man bis vor ein paar Wochen seine Sachen (Jacke, Tasche, Kaffee, usw.) mitnehmen. Das war eine schöne Ausnahme unter den Bibliotheken an der Uni, die man mit kollektiver Sorgfalt genossen hat. Fast nie gab es ein Problem, kein Dreck oder was auch immer. Die Verwaltung hat sich aber nach der Renovierung offenbar genötigt gesehen, diese Praxis zu beenden; wovon, ist unklar. Klar jedoch ist: Meine Doktorarbeit ist in Gefahr – Koffeinmangel!

Freitag, 17. Januar 2014

Nach Oldenburg, zum Horst Janssen Museum

Horst Janssen
Meisterzeichnungen
Hamburger Kunsthalle
8.10.2004 – 16.01.2005
Eine zufällige Begegnung

Meine Begegnung mit Horst Janssen war eher ein Zufall.

Als ich nach Hamburg kam, wohnte ich zunächst in einer Zweck-WG in Wilhelmsburg, in die eine Woche nach mir auch die liebe Vicky einzog, was „the beginning of a beautiful friendship“ war. Sie gab mir den Hinweis (eigentlich schleppte sie mich dorthin mit), dass ich mir von der Kunsthalle ein paar Poster für meine leere Wände besorgen konnte (also auch musste).

Da habe ich das Poster gefunden, das mich in den letzten fünf Jahren durch meine bisherigen vier Unterkünfte begleitet hat:

Horst Janssen – Meisterzeichnungen – 8. Oktober 2004 bis 16. Januar 2005.

Ich hängte das Poster also auf und ging gleich ins Internet. So erfuhr ich schon damals, dass sich in Oldenburg ein Horst Janssen Museum befindet, aber der Besuch sollte auf sich warten lassen.


Irgendwann kam ich endlich dazu, das Janssen-Kabinett in der Hamburger Kunsthalle zu besuchen, das kurz nach Janssens Tod eröffnet worden war; und als ich als studentische Hilfskraft in der Bibliothek arbeitete, hatte ich ab und zu die Gelegenheit, die Bände mit seinen Werken im Magazin durchzublättern. Einmal kam mein lieber belesener Chef vorbei, den ich gerne "Herr B., den Weisen" nannte, und wir hatten eine sehr nette Unterhaltung über Janssen. Ein Ausflug nach Oldenburg war aber immer noch nicht angesagt ...


... bis ich letzten Monat nach einem langen Blickflirt ein Buch von Janssen gekauft habe, das mich dem Künstler näher brachte und mir einen neuen und den entscheidenden Anstoß zu diesem seit langem gewünschten Ausflug nach Oldenburg gab:

Horst Janssen, Summa summarum: Ein Lebenslesebuch.


Erst nach Oldenburg, dann zurück nach Hamburg

Janssen verbrachte seine Kindheit zwar in Oldenburg bei den Großeltern, war aber schicksalsbedingt ein gebürtiger Hamburger:

„Meine patriotische Mutter wünschte sich, in Berlin niederzukommen. Aber ich war außerordentlich unpünktlich, und sie verlor die Geduld. So wurde ich auf der Durchreise in Hamburg geboren."


Die Mutter, die Schneiderin war, habe sich dann mit ihrem unehelichen Sohn nach Oldenburg „ausquartiert“ und ihn „ein halbes Jahr in ihrer Werkstatt außerhalb des Elternhauses“ verborgen. Als ihr Vater erfuhr, dass er auf diese Weise Großvater geworden war, „wollte er sich aufhängen", was „zu jener Zeit in solchen Fällen keinesfalls ein absurder Gedanke“ war, wie Janssen schreibt; aber „[e]r gewann sein Enkelkind sehr lieb".


Seine Kindheit bei den Großeltern fasst Janssen so zusammen:

„Oldenburg war meine Kindheit. Mit einem Kürbisbeet, mit Rolf Strehle, mit der Ratte in dem Loch unterm Fußrost vor der Haustür. Mit Café Bohlmann am Sonntag, mit den Streichhölzern, die nach dem Platzregen im Rinnstein den Gullys entgegenschwammen, mit den belgischen Kaltblütern vom Kohlenhändler Tappken und mit den Soldatenträumen, die immer so plötzlich endeten, wenn es rief: Reinkommen! Essen! So war Oldenburg. Bis Opa starb und gleich darauf meine Mutter.“

1946, mit 15 Jahren kam er zu „Tantchen“ Anna nach Hamburg, „wo ich die Kunstschule besuchte, solange man es duldete. Danach habe ich gezeichnet, bis heute, und Fett angesetzt", schreibt Janssen.


Und am vergangenen Sonntag endlich bin ich mit Steffi nach Oldenburg gefahren, um die Werke dieses Hamburger Künstlers zu sehen – unsere Rückfahrt nach Hamburg war aber schon gebucht.



Der Ausflug und das Museum

Es war ein sonniger Tag, und wir hatten eine angenehme Fahrt nach Oldenburg. Das Horst Janssen Museum ist vom Hauptbahnhof in fünf Minuten zu Fuß zu erreichen.

Es war der letzte Tag einer Chagall-Ausstellung in dem Museum, deshalb waren wir nicht wirklich überrascht von der Menschenfülle im kleinen Eingangsbereich. Tja, die Leute waren eher für Chagall da und wir für Janssen, soweit kein Problem.

Die Enttäuschung kam erst später, weil nur eins von drei Stockwerken des Janssen-Museums für dessen Werke reserviert war und damit die Auswahl der Bilder schon eher begrenzt war. Ich weiß nicht, ob das immer der Fall ist, aber für uns war das schon Pech ...


Dafür konnten wir in diesem einzigen Stockwerk die relativ kleine Zahl der Werke in Ruhe betrachten und uns die Dokumentation "JANSSEN: EGO" von Peter Voss-Andreae fast komplett anzuschauen.



Horst Janssen – Nao-Fisch
Der Museum-Shop hatte eine große Auswahl von Janssen-Bücher, aber leider nur wenige Poster. Aber diesmal hatten wir Glück und fanden ein Poster, das uns beiden gefiel: Nao-Fisch

Wir haben es zur Erinnerung mitgenommen und noch am selben Abend feierlich an die Wand gehängt! Prost!

Obwohl ich teilweise enttäuscht vom Museum war, bin ich glücklich, dass ich diesen Ausflug endlich gemacht habe und einige sehr schöne Werke von Janssen im Original sehen durfte.


Die Gedankenkrümel wo die Worte mir fehlen

Es ist nicht leicht zu beschreiben, warum ich sein Werk bewundere …

Nur ein paar Gedankenkrümel hier:

Auf jeden Fall hat es etwas damit zu tun, dass er ein Zeichner ist, wie er auch selbst oft betont. Aber es ist auch diese gewisse (vermutlich beabsichtigte) Unvollständigkeit, Unvollkommenheit in vielen Zeichnungen, die den Eindruck vermittelt, dass er in seiner Suche nach was auch immer ständig hin- und hergerissen wäre ... Und dann die Details und die Präzision, die diese Werke andererseits auszeichnen ... Eine Begegnung mit der Traurigkeit ist darin, die sich oft mit recht gruselig erscheinenden Strichen zeigt, aber nicht selten auch eine feine Dosis von Humor enthält ... Das Menschliche, das sich authentisch und ehrlich offenbart …         




Horst Janssen
Janssen über seine Kunst

Es fange mit dem "Kucken" an, das "der Grund des Zeichnens" ist, das oft "gemeinhin duch Pauschalinformation" verblindet werde, und das sozusagen eher "ein klares und von keinem Gedanken getrübtes und abgelenktes Kucken" sein solle.

Letztendlich sei "das Wunderbare nicht unser intellektuelles Geschurre hinter geschlossenen Augen. Das Wunderbare sind eben diese Augen selbst – geöffnet, versteht sich und mit dem Krimkrams dahinter."

Die offene Augen fütterten das Gedächtnis und sein schlechtes Gedächtnis sei die Hauptquelle seines Vergnügens: "Es erinnert die geringsten Details einer Situation, die ich nie erlebt habe."

Dieses Gedächtnis weist auf eine lebhafte Phantasie hin, in der eine große Ansammlung von Augenscheinen und Vorstellungen animiert wird: Die Phantasie sei ihm "ein großer Versammlungsraum, eine große Halle, in die ungezählte, einander fremde Personen hineinströmen. Und wie's so ist, es bilden sich in der Halle Gruppen, Grüppchen und Paare, deren einzelne Personen miteinander im ständigen Austausch begriffen sind. [...] So gesehen, wäre Phantasie die Assoziation aller ursprünglich nicht miteinander im ständigen verbundenen Erlebnisse. Und die Träume und Phantastereien des Zeichners sind die Verbindung aller gehabten Augenscheine, die zu ungewöhnlichen Vorstellungen zusammentreten." Zusammengefasst: "Der Zeichner sammelt Vergangenheit und hebt sie damit auf."


Beim Zeichnen geht es ihm dann eher darum, diesen Wirrwarr auf dem Papier zum Stillstand zu bringen, wenigstens für einen Moment. Die räumliche Begrenzung "der vier Ränder des Blattes" ist sowohl eine Herausforderung, weil nach Janssen der Mensch auf Expansion aus sei, aber auch eine Insprisationsquelle: "Man könnte sagen: das Maß sei die Muse."

Und was ist am Ende eine Zeichnung?
"Eine Zeichnung [ist] nur ein Papier, auf dem alle Leidenschaft zur Ruhe kommt und alle Vorstellungen lebendig werden."

Wie man dahin kommt, ist eine andere Frage ...

Vor allem sitze man nicht allein vor dem Objekt, sondern "die ganze Gesellschaft längst verstorbener Zeichner sitzt dir im Nacken".

Die Arbeiten und Erfahrungen der Vorgänger im Nacken und dennoch unzählige Möglichkeiten vor dem Zeichner ...


"Wenn ich zu allen meinen Möglichkeiten wüßte, was das Richtige für mich ist, und wenn für das Richtige nur ein kleiner Teil meiner Möglichkeiten nötig wäre, um einen überzeugenden Eindruck zu machen," schreibt Janssen, "dann würde ich vielleicht gerne auf den größeren Rest meiner Möglichkeiten verzichten."



Ich glaube, dieses Vielleicht ist das Schlüsselwort: Auch wenn es im Grunde "das Richtige" nicht gibt, muss man entscheiden, ob man dennoch – gewiss immer wieder leidend – nach und in seinen Möglichkeiten weiter danach sucht, um zu finden, was zu finden ist … 



Janssen hat gesucht …


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